Der Melodie lauschen (tune dem™)

Prüfung der verfügbaren Optionen bei der Leistungseinschätzung von HiFi-Komponenten

Die A/B-Vorführung ist seit langem schon die Standardmethode zur Bewertung von HiFi-Komponenten im Einzelhandelsverkauf. Sie hören sich die eine Komponente an, und danach hören Sie eine zweite an und kaufen diejenige, die am besten klingt.
Das klingt recht einfach; aber wie stellen Sie fest, welche Komponente am besten klingt?
Einige lauschen auf Verzerrungen oder zerlegen den Klang sogar in seine Bestandteile und prüfen den Tiefton, den mittleren Frequenzbereich und die Hochtonfrequenzen. Andere achten auf die Klangstufe oder auf die Klangtiefe. Viele geben einfach ganz auf und verlassen sich auf die Kritiken und die Leistungsdaten.
Wir sind an diese Problem stets so herangegangen, dass wir der Melodie lauschen. Obwohl das fast zu einfach klingt, um nützlich zu sein, zeigt eine sorgfältige Prüfung, dass dieses Verfahren nicht nur erstaunlich exakt ist, sondern auch eine sehr solide Grundlage besitzt.
Es sind auch wissenschaftliche Messungen der Verzerrungen möglich. Diese beruhen jedoch gewöhnlich auf Tests anhand von sehr einfachen Signalen und sind, wie die meisten Leistungsdaten, kein guter Anhaltspunkt für die Leistung, die eine Komponente zu bieten vermag, wenn ihr die Verarbeitung eines komplexen Musiksignals abverlangt wird.



Verzerrung

Wie oft haben Sie gehört, dass jemand von dem verzerrten Klang eines HiFi-Systems sprach? In Wahrheit haben die meisten Menschen keine richtige Vorstellung von dem, was Verzerrung ist. Verzerrung hört man nicht! Man kann durchaus den schlechten Klang eines HiFi-Gerätes hören. Aber Verzerrung ist einfach der Unterschied zwischen dem guten Signal, das am Systemeingang eingegeben wurde, und dem schlechten Klang, der am Lautsprecher herauskommt. Da Sie kaum in der Lage sind genau zu wissen, wie die Tonaufnahme war, können Sie nicht sicher sein, inwieweit das Signal verändert ist. Daher ist es sehr riskant, ein HiFi-Gerät zu bewerten, indem man versucht, Verzerrungen festzustellen.
Auch ihrem Umfang nach sind die Messungen sehr begrenzt. Sie messen nur bestimmte Arten von Verzerrung. In Wirklichkeit gilt alles, was ein Musiksignal verändert, als eine Art von Verzerrung, unabhängig davon, ob es bei einer Leistungsangabe quantifiziert ist oder nicht. Bezüglich der Verzerrung und ihrer Auswirkungen auf ein Musiksignal brauchen Sie sich nur eines zu merken:

In einem bestimmten Moment kann ein Musiksignal mittels einer Amplitude (Lautstärke) und einer Frequenz (Tonhöhe) beschrieben werden. Aufgrund dieser Definition ändert diese Verzerrung daher stets entweder eine Amplitude oder eine Frequenz oder beide. Die Bedeutung dieser Tatsache wird sehr bald klar werden.



Quantität gegenüber Qualität

Wir haben soeben dargelegt, dass es sehr schwierig ist, die Verzerrung einer Komponente einzuschätzen, da Ihnen sehr wenige Informationen über das ursprüngliche Signal vorliegen. Diese Einschränkung beeinträchtigt auch andere Bewertungsmethoden.
Die Aufgliederung des Signals in seine Bestandteile; d.h. die niedrigen, mittleren und höheren Bestandteile ist kaum möglich, da Sie am Ende Einschätzung anhand von Quantität anstelle von Qualität vornehmen. Sie können sehr wohl am Ende das System wählen, das Ihnen die größte Bassleistung bietet, während Sie sich eigentlich ein Gerät wünschen, das Ihnen die richtige Bassleistung bietet. Leider wissen Sie nicht, >wieviel Bassleistung die Aufnahme im Album tatsächlich aufwies.



Die Klangstufe

Eine sehr attraktive Art, ein HiFi-Gerät einzuschätzen, besteht darin, dass Sie sich entspannt zurücklehnen, und in Gedanken den Musikern beim Spielen zusehen. Sie können sie im Raum fast wahrnehmen. Ja, Sie könnten direkt auf sie zeigen.
So attraktiv diese Art auch erscheinen mag, sie krankt doch an denselben Einschränkungen wie die anderen Methoden. Sie wissen ja nicht, wo ein bestimmter Musiker stand, als die Aufnahme gemacht wurde. Tatsächlich wurde bei vielen Studioaufnahmen die Position eines Musikers schlicht durch die Position eines Panoramapotentiometers oder eines Balancereglers auf dem Aufzeichnungsmischpult bestimmt!
Ehrlich gesagt, kümmert es Sie wirklich, wo er gestanden hat? Die meisten Menschen würden lieber einem guten Pianisten in einem anderen Raum lauschen, als einem schlechten Pianisten, der zweieinhalb Meter vor und 61,75 cm links von Ihnen sitzt. Verstehen Sie uns nicht falsch. Das Image bzw. die Klangstufe kann ein sehr attraktiver Leistungsaspekt eines HiFi-Systems sein. Aber es ist nur dann von Belang, wenn Sie die musikalischen Aspekte des Systems bestimmt haben.



Die großartige Lösung

Nachdem wir nun den größten Teil der Seite mit Erklärungen über die beschränkten Möglichkeiten für die Beurteilung von HiFi-Geräten verbracht haben, fühlen wir uns verpflichtet, eine Lösung anzubieten. Wenn wir eine Einschätzung treffen sollen, indem wir der Musik lauschen, müssen wir uns fragen: "Was ist auf der Platte oder der CD?"
In Wahrheit wissen wir sehr wenig über den Inhalt des Albums. Uns ist weder die Bassleistung bekannt, noch wo die Sängerin stand oder wie laut das zaghafte Klimpern der Triangel sein sollte. In Wirklichkeit wissen wir fast nichts über das ursprüngliche Signal dieser Aufzeichnung. Ob wir wollen oder nicht, dadurch sind wir zu Annahmen gezwungen.
Unserer Meinung nach gibt es nur einige bestimmte Annahmen, von denen Sie mit ziemlicher Sicherheit ausgehen können.

    An dieser Aufnahme wirkten professionelle Musiker mit.
    Sie müssen gut sein, anderenfalls hätten sie kein Album machen können.
    Ergo - dieses Album bietet gute Musik.

Falls Sie sich bei der Beurteilung der HiFi-Komponenten Fragen zu den musikalischen Aspekten stellen, ist Ihre Chance viel größer, eine richtige Einschätzung zu treffen. Statt nach dem Klang der HiFi-Anlage zu gehen, beurteilen Sie die Leistung der Musiker. Alles was bei einem HiFi-Gerät den Klang beeinträchtigt, muss die Hörqualität der musikalischen Leistung schmälern.
Sie können Fragen stellen, wie beispielsweise: "Ist die Stimme der Sängerin gefühlvoll?", "Haben sie Spaß dabei, oder spielen sie nur des Geldes wegen?"
Diese Bewertungsmethode funktioniert auch, wenn Sie nicht wissen, wie gut die ursprüngliche Leistung war. Die Fehler, die ein HiFi-System verursacht, können nur die musikalische Leistung verschlechtern. Es gibt keine magische Kombination von Fehlern, welche die Leistung bei diesem Album verbessern könnte. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich ein Album mit dem HiFi-System A angehört und meinen, die Leistung war bestenfalls dürftig. Danach haben Sie es sich mit System B angehört und festgestellt, dass die Musiker durchaus fähig waren. Auch ohne zu wissen, wie gut die Leistung bei der ursprünglichen Aufnahme war, können Sie dennoch daraus schließen, dass System B besser sein muss als System A.



Hier kommt die Melodie ins Spiel

Unser bevorzugtes Verfahren beim Einschätzen der musikalischen Leistung und somit der Leistung des HiFi-Systems besteht darin, einfach der Melodie zu lauschen.
Viele Menschen lehnen das sofort ab, da es offensichtlich allzu simpel sei für sinnvolle Ergebnisse. Aber in der Praxis ist das ein umfassendes Verfahren, das die Unterschiede bei HiFi-Systemen klarer aufzeigt, als jede andere Methode der Einschätzung, die wir jemals verwendet haben.
Die Musik bei einer Platte besteht aus einem Signal, das in jedem Augenblick durch zwei Parameter, die Frequenz und die Amplitude (oder Tonhöhe und Lautstärke, wenn sie wollen) bestimmt werden kann.
Jede Art von Verzerrung, unabhängig davon, ob wir sie messen oder verstehen können, verändert entweder eine Frequenz oder eine Amplitude oder beides. Bei einer Verzerrung ist das genauso. Dies geschieht selten auf lineare Weise. Das heißt, dass einige Frequenzen oder Amplituden mehr als andere verändert werden.
Diese Veränderungen der Frequenz und der Amplitude ändern auch das Verhältnis der Tonhöhen in der Musik und damit die Melodie. Beispiel: Da die wahrgenommene Tonhöhe einer Note die Summe ihrer Grundschwingungen plus ihrer Oberschwingungen ist, verschiebt eine Verzerrung, die weitere Oberschwingungen hinzufügt, die Tonhöhe dieser Note leicht nach oben. In ähnlicher Weise kann eine Verzerrung, die zu einer Absenkung der höheren Frequenzen führt (und damit die Amplitude einiger Oberschwingungen reduziert), die wahrgenommene Tonhöhe verringern.

Unsere musikalische Wahrnehmungsskala besteht aus einer Reihe feststehender Schritte. Diese Schritte sind vorhersagbar. Unser Gehirn verfügt über die verblüffende Fähigkeit, diese Schritte nachzuvollziehen und zu erkennen, wenn Fehler gemacht werden. Dabei verhält es sich wie beim Treppensteigen. Solange die Stufen gleich hoch sind, kann man sie bequem hinaufsteigen, hinabsteigen, nach oben rennen, nach unten rennen, zwei Stufen auf einmal nehmen, sogar in der Dunkelheit. Doch man braucht nur die Höhe einer Stufe zu ändern, und schon fallen Sie wahrscheinlich lang hin.
Mit dem Nachvollziehen einer Melodie verhält es sich genauso. Falls Sie versuchen, die Melodie zu verfolgen, stellen Sie fest, dass sie bei einem guten HiFi-System besser anspricht. Die Stufen sind sozusagen regelmäßiger. Die auf einem Instrument gespielten Noten stehen in einem bestimmten Verhältnis zu den Noten, die ein anderes Instrument erzeugt. Häufig werden Sie sogar wissen, welche Note als nächste kommt.
Daher kann letztlich gesagt werden, dass ein System um so besser ist, je weniger Schaden es bei dem Verhältnis der Tonhöhen zueinander verursacht und je leichter es ist, der Melodie zu folgen. Und da jede Art von Verzerrung, unabhängig von ihrer Tonquelle, die Melodie verändern muss, ist diese Methode ein umfassender Test für die musikalische Leistung eines HiFi-Systems.



Weitere Probleme?

Einige Leute haben zunächst gewisse Schwierigkeiten mit dieser Bewertungsmethode. Denn schließlich gibt auch ein Transistorradio eine Melodie wieder, die Sie verfolgen können. Ein Hauptfaktor dabei ist der Arbeitsumfang, den Ihr Gehirn leisten muss, um die Melodie zu verfolgen. Ihr Gehirn kann - und tut das auch - Fehler bei der Melodie korrigieren. Ihr Gehirn kann feststellen, wie die Melodie sein sollte.
Zweifellos haben Sie diese Fähigkeit Ihres Gehirns, Hörinformationen in einer normalen Unterhaltung zu dekodieren, festgestellt. Jemand hat Ihnen eine Frage gestellt, aber Sie haben nicht ganz verstanden, was gesagt wurde. Ihre direkte Reaktion ist: "Was?" Aber nur im Bruchteil einer Sekunde, die Sie brauchten, um "Was?" zu sagen, wiederholte Ihr Hirn den Vorgang, und noch ehe man die Frage wiederholen kann, stellen Sie fest, dass Sie in Wirklichkeit verstanden haben, was gefragt wurde.
Das Problem hierbei ist, dass Ihr Gehirn einen bestimmten Bruchteil einer Sekunde benötigte, um zu dekodieren, was Ihre Ohren vernommen hatten. Wenn Sie versuchen, den Ton mit einem schlechten HiFi-Gerät zu verfolgen, muss Ihr Gehirn mehr arbeiten, um den Fehler des HiFi-Systems zu korrigieren. Ständig hinkt es hinterher und versucht, Anschluss zu halten. Beim normalen Hörprozeß geschieht das unbewusst. So verhält es sich auch bei dieser verflixten Hörermüdung.

Falls Sie Probleme haben sollten, den Unterschied bezüglich der Leichtigkeit zu erkennen, mit der Sie die Melodie bei Vergleichen verfolgen können, so verfallen Sie nicht in Panik. Lehnen Sie sich einfach zurück und versuchen Sie es nochmals. Am Ende werden Sie den Unterschied hören.
Bemerkenswerterweise werden Sie, wenn Sie den Unterschied gehört haben, erkennen, dass er viel offensichtlicher ist als ursprünglich angenommen. Und je mehr Sie hören, desto einfacher wird diese Methode. Mit etwas Übung werden Sie herausfinden, dass Sie einen Hörtest haben, der konsistent, wiederholbar und - was das Beste ist - ein zuverlässiger Indikator für die Leistung jeglicher HiFi-Komponente ist.



Ein letztes Wort zu A/B-Vorführungen

Das von uns empfohlene Verfahren für einen A/B-Vergleich besteht darin, sich Komponente A anzuhören und danach Komponente B. Wenn eine besser klingt, so kaufen Sie diese. Falls beide gliche klingen, kaufen Sie die billigere. Alles andere ist einfach Unsinn. Wir haben immer gesagt: "Wenn es nicht besser klingt, dann ist es nicht besser."
Es wird Ihnen leichter fallen, Komponenten in einer A/B-Situation zu vergleichen, wenn Sie nur einen kurzen Abschnitt auf der Komponente abspielen (mindestens 10 Sekunden und sicherlich nicht mehr als 30 Sekunden). Schalten Sie auf die zweite Komponente um, und spielen Sie denselben Abschnitt nochmals.
Indem Sie die Abschnitte kurz halten, haben Sie den Ton noch frisch in Erinnerung und werden besser in der Lange sein, die relativen Schwierigkeiten beim Verfolgen der Melodie bei jeder Komponente zu beurteilen.
Vermeiden Sie die Verwendung von Komparatoren oder Umschaltgeräten. Die zusätzlichen Anschlussstecker beeinträchtigen das Signal beider geprüften Komponenten, wodurch das Leistungsniveau auf das des Umschaltgerätes verringert wird, wodurch eine sinnvolle Auswertung unmöglich ist.

Aus ähnlichem Grund empfehlen wir sehr, alle Einschätzungen von Komponenten in einem Vorführraum durchzuführen, in dem sich nur ein Lautsprechersatz befindet.
Obwohl sie nicht benutzt werden, vibrieren zusätzliche Lautsprecher zur Resonanz mit der ursprünglichen Tonquelle. Dieses zusätzliche Geräusch macht es noch schwieriger, die Komponenten einzuschätzen. Dadurch wird es nicht nur schwieriger, die Melodie zu beurteilen. Es führt ebenfalls dazu, dass eine Komponente bevorzugt wird, die einen aggressiveren Klang erzeugt und auf unfaire Weise eine gute Komponente beeinträchtigt, indem einige Detailinformationen im Niederpegelbereich überdeckt werden, die nur die besten Komponenten wiedergeben können.

Übersetzung aus einem technischen Bericht der Firma Linn Ltd.
Mit freundlicher Genehmigung des deutschen Vertriebs.

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