Der folgende Beitrag stammt aus dem rf-magazin Mai 1998 Seite 18. Autor ist Heinz Schmitt, Chefredakteuer der Zeitschrift STEREO.

smilie Dank an Herrn Schmitt und die Redaktion des rf-magazins für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf dieser web-site.

Angeschmiert

Leser Michael Sch. war schon ganz zappelig. Hatte er doch soeben in der zwölfseitigen Zeitungsbeilage eines großen Elektro-Handelshauses den Knüller des Jahres entdeckt. Die Dreiwege-HiFi-Standbox, in der Anzeige, geschmückt mit einem bekannten Herstellernamen, sollte doch tatsächlich pro Stück nur 99 Mark kosten. Und das bei einer unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers von - Donnerwetter - deftigen 699 Mark. 600 Mark gespart, propagierte der Prospekt noch für alle, deren Taschenrechner-Batterien gerade schlappge- macht hatten. Also nichts wie hin und zugeschlagen, bevor das Super-Schnäppchen weg ist.

Bereits an der Warenausgabe kamen Herrn Sch. erste Zweifel am Super-Deal. Lautsprecher der 700-Mark-Klasse hatte er eigentlich für schwerer gehalten. Der leise Zweifel steigerte sich zu Hause zur ernüchternden Gewißheit. Vom Karton befreit, entpuppten sich die früher angeblich teuren Standboxen als Brüllwürfel der Sondermüll-Klasse. Drei Billigst-Chassis im arg dünnen Spanplattengehäuse, verblendet mit popeliger Folie. Für 99 Mark war der Klang gerade noch hinnehmbar, für 199 Mark wäre er bereits inakzeptabel gewesen, und für die avisierten 699 Mark hätte man ihn mit viel Wohlwollen als katastrophal bezeichnen können.

Hatte sich das renommierte Handelshaus bei der ehemaligen Preisempfehlung womöglich vertan? Ein Anruf beim Hersteller sollte Gewißheit verschaffen. Michael Sch. traute seinen Ohren nicht. Die nette Dame am Telefon der bekannten Boxenschmiede bestätigte die Preisempfehlung von 699 Mark pro Stück. Herr Sch. verstand die Welt nicht mehr.

So richtig betrogen wurde er eigentlich nicht. Für 99 Mark kann man eben nicht mehr Lautsprecher erwarten. Doch belogen wurde er natürlich schon. Der angeblich reguläre Preis von 699 Mark ist völlig aus der Luft gegriffen. Seine Bestätigung durch den Hersteller war Teil eines abgekarteten Spiels. Und das funktioniert zum Beispiel so: Handelshaus X braucht mal wieder Futter für dem Schnäppchenwahn verfallene Kunden und ordert beispielsweise 3000 Boxen beim Markenhersteller Y. Einzige Bedingungen: Einkaufspreis 69 Mark und der Markenname auf dem Gehäuse. Der gut vermarktbare Name des Produzenten ist der einzige Grund für dessen Einbeziehung in den Deal. Ansonsten könnte der Anbieter die Boxen gleich selber in China ordern und bekäme sie für 60 Mark frei Haus. Der Klang interessiert nieman- den, das Produkt war auch niemals im normalen Programm des Herstellers. Spot-Business heißt das auf Neudeutsch. Weiterer entscheidender Bestandteil des Geschäfts ist die an den Haaren herbeigezogene exorbitante Preisempfehlung des Herstellers, die ihm vom Händler gleich in die Bestellung diktiert wird. Der angeblich reguläre Preis richtet sich nach der gerade aktuellen Fieberkurve des Schnäppchenwahns - 50 bis 60 Prozent Nachlaß sind ja mittlerweile schon kalter Kaffee.

Der einzige, der bei dem Deal noch gutes Geld verdient, ist der Verkäufer. Der Hersteller hat bestenfalls etwas Kleingeld in der Kasse, aber den unbezahlbaren Vorteil, in der Stückzahlen-Hitliste einen der vorderen Plätze zu belegen, was wiederum den Einkäufer des Handelshauses freundlich stimmt, wenn es um reguläre Serienware des Herstellers geht. Großanbieter kaufen halt nur bei Marktführern ein. Unterm Strich reiben sich alle Beteiligten die Hände. Angeschmiert sind nur der Kunde und der seriöse Fachhändler, der gute Ware zum angemessenen Preis anbietet, den ihm allerdings wegen der verlogenen Streichpreis-Politik der Großen niemand mehr glaubt.

Also, Hände weg von vermeintlichen Superschnäppchen! Enttäuschungen sind vorprogrammiert.

© Heinz Schmitt
(Chefredakteur des Special-Interest-Magazins STEREO)


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